Millerntorstadion – Das Herz von St. Pauli

In einem der  besten (weil herrlich selbstironischen) HSV-Songs heißt es: „Manche Leute machen ein Geschrei, weil sie meinen, dass bei Pauli alles besser sei. Das Stadion, die Fans, sogar die Farben Weiß und Braun.“ Auf den ersten Eindruck stimmt das ja auch. Das Heiligengeistfeld umweht bei Paulispielen eine Art Festivalstimmung. Die Lage des Stadions in Sichtweite von Michel und Reeperbahn im Herzen St. Paulis und Hamburgs ist einfach unschlagbar. Da kann der HSV mit der Einbettung zwischen Autobahn und Industriegebiet wirklich nicht mithalten. Bei Pauli merkt man schon an der Umgebung, dass man in Hamburch ist, das Volksparkstadion könnte irgendwo in Deutschland sein. Auch bei den Preisen für Essen und Getränke (2,50 für eine Bratwurst, 3,00 für die meisten Getränke) darf mein Lieblingsverein sich gerne eine Scheibe vom braun-weißen Nachbarn abschneiden. Also: Bei Pauli ist schon manches besser. Aber eben nicht alles. Die Stadien sind unvergleichbar und unvergleichlich. Fans von Vereinen aus ganz Deutschland halten den Volkspark für eines der schönsten Stadien im Land. Das Millerntor ist ganz anders und dennoch ebenso weit oben in dieser Kategorie. Stehplätze an drei Seiten, eine grandiose Backsteinfassade, gesamtarchitektonisch eine Reminiszens an die legendären englischen Fußballtempel. Obwohl physisch nichts übrig ist vom alten, ebenso legendären Millerntor, fühlt sich das Stadion nicht wie ein Neubau an. Vor zehn Jahren stand ich an gleicher Stelle beim Spiel gegen Rot-Weiß Ahlen (ein Verein, den die neuste Generation Fußballfans maximal noch von den mittleren Rängen der ewigen Zweitligatabelle kennt) und es war fast wie heute. Dazu trägt das aufs Wesentliche reduzierte Vorprogramm mit der äußerst sympathischen Stadionsprecherin ebenso seinen Teil bei wie die Nachbildung der alten, manuellen Anzeigetafel auf der modernen Videowand, am meisten aber der Erhalt der Stehplätze auf der Gegengeraden.

„Dass bei Pauli alles besser sei“. Die Farben Weiß und Braun? Lässt sich nicht objektiv drüber streiten. Für mich kein optischer Hochgenuss. Aber allein schon deshalb eine gute Wahl, damit Braun nicht den Faschisten überlassen wird, wie ein Aufkleber am Pissoir treffend postulierte. Die Fans? Naja… Die Meinung, bei Pauli sei alles besser, als beim blau-weiß-schwarzen Nachbarn hört man vor allem in anderen Teilen der Bundesrepublik von Leuten, die nie einen Fuß ins Millerntor gesetzt haben, aber den Totenkopfpullover tragen, weil es irgendwie unangepasst sei. So unangepasst, dass St. Pauli höhere Marketingerlöse erzielt, als die meisten Bundesligisten… Leute, die meinen, beim HSV würden immer noch Neonazis die Kurve beherrschen, während zu Pauli fast ausschließlich linke Hausbesetzer gingen. Dieses Klischee aus den 1980ern Jahren ist lange überholt, auch wenn es gewiss am Millerntor eine höhere Punkquote als im Volkspark gibt. Der größte Teil beider Fanlager speist sich aus den gleichen Schichten (nämlich allen), kann gut miteinander und würde sich wünschen, dass beide Hamburger Teams dauerhaft in der Ersten Bundesliga spielen. Also nicht die besseren Fans bei St. Pauli? Wirklich nicht. Der Gesang zu „Das Herz von St. Pauli“ hatte Gänsehautpotential, so wie bei „Eisern Union“ in der Alten Försterei oder „Hamburg, meine Perle“ im Volkspark. Die Stimmung war insgesamt trotzdem nur sehr durchschnittlich. In der ersten Viertelstunde noch beeindruckend, dann bis zu einem kurzen Aufbäumen in der vorletzten Minute nur der übliche Ultrasingsang wie überall im deutschen Profifußball. Der sagenumwobene, aber real existente Millerntor-Roar kam auch nur ganz selten von den Rängen. Endgültig vom hohen Ross der vermeintlichen moralischen Überlegenheit fielen die Paulianhänger, als sie einen verletzten Auer auspfiffen und als sie nach Abpfiff die Gästebetreuer massiv mit (auch vollen und halbvollen) Bierbechern bewarfen. Der FC St. Pauli ist  – wie der HSV und alle anderen – eben auch nur ein gewöhnlicher Verein, der aber in einem der bemerkenswertesten deutschen Stadien seine Heimat hat.

Ach ja, Fußball wurde auch gespielt. Jedenfalls zeitweise. Pauli beteiligte sich nur in den ersten und letzten 15min aktiv am Spielgeschehen, dazwischen wirkte der Aufstiegsmitaspirant gegen die latent abstiegsbedrohten und gewohnt kampfstarken Gäste seltsam wackelig und uninspiriert. So war die 1:2 Heimniederlage nicht völlig unverdient, obwohl das Spiel rein nach den hochkarätigsten Chancen gut und gerne 3:3 hätte ausgehen können.

 

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HSV-, SGD- und KSC-Fan und Stadion-Liebhaber
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