National Athletics Center Budapest – Von Wundern und Verwunderung

„Witness the Wonder“ war das Motto der Leichtathletik WM in Budapest. Für viele Einwohner von Ungarns Hauptstadt dürfte es tatsächlich ein kleines Wunder sein, dass aus der Industriebrache an der Donau ein wunderbares, grünes, neues Sportzentrum geworden ist. Auch für die WM-Teilnehmer und -besucher war das äußerst gelungene Stadion ein bewundernswerter Anblick. Obwohl der Oberrang als temporäre Stahlrohrkonstruktion errichtet wurde, machte er ganz und gar keinen provisorischen Eindruck und fügte sich wunderbar mit dem Unterrang zu einem 35.000 Zuschauer fassenden mittelgroßen Ganzen zusammen. Nachhaltigkeit sollte bei der WM schließlich ganz groß geschrieben werden. Nach Ende der Wettkämpfe schrumpft das Stadion um den Oberrang, zurück bleibt der Unterrang als neues Leichtathletik-Nationalstadion mit vielen Aktivitätsmöglichkeiten für die Bevölkerung auf dem Stadionumlauf und im Außenbereich.

Nachhaltig sollte es auch bei den Getränken zugehen. Anders als bei vielen Sportveranstaltungen, konnten eigene Flaschen zum Wiederauffüllen an diversen Wasserspendern mitgebracht werden. Die Maximalgröße von 0,7 Litern wurde von der Security ob der hohen Temperaturen meist sehr flexibel gehandhabt. Komplett konterkariert wurde dieses Nachhaltigkeitsansinnen allerdings durch den Verkauf von Wasser und Softdrinks in Einwegplastikflaschen. Auch das Pfandsystem für Trinkbecher erschien nicht durchdacht – man bekam zwar einen Pfandchip, musste den Becher am Ende aber dennoch behalten. Mit Maskottchen Youhuu gab es dafür eine großartige Idee der Veranstalter. Selten war ein Maskottchen nicht nur so verrückt, sondern vor allem auch so liebenswert.

Für negatives Staunen sorgte die Wettkampforganisation und Stadionregie. Mindestens eine Morningsession hätte man einsparen und die Wettkämpfe auf die teils etwas lahmen Abendsessions verteilen können. Immerhin gab es im Unterschied zur Ausgabe 2022 in Eugene jeden Abend mindestens vier und nicht teilweise nur zwei Finals. Für künftige WMs wäre ein Tag ohne Stadionwettkämpfe zur Mitte der WM zu überlegen. An diesem Tag könnten mit viel Aufmerksamkeit Gehen und Marathon stattfinden. Viel gravierender als die Gestaltung des Zeitplans war jedoch das Timing der Stadionregie. Viel zu oft wurden medaillenentscheidende Versuche in den technischen Disziplinen durch die Vorstellung des nächsten Vorlaufs oder Finals überlagert oder noch freigegeben, obwohl die Sprinter schon zum Start in den Blöcken waren. Kurzes Abwarten hätte den Zeitplan nicht gesprengt und dabei den Springerinnen und Werfern die verdiente Aufmerksamkeit verschafft. Dazu kamen übereifrige Kampfrichter, die Ehrenrunden verhinderten oder dramatisch verkürzten und die Athleten bei ihren Startvorbereitungen nach 40m ausbremsten, obwohl die ganze Kurve frei war. Todesangst überkam die Zuschauer regelmäßig beim Wurf, denn die Kampfrichter schienen eine Wette laufen zu haben, wer am nächsten neben dem Auftreffpunkt der Speere und Hämmer stehen bleibt.

Sportlich war diese WM wieder einmal ein Highlight mit sechs Weltmeisterschaftsrekorden, einigen Kontinental- und diversen Landesrekorden. Es gab Zentimeterkrimis, Wendungen im letzten Versuch und Fotofinishes. Ein Witness-the-Wonder-würdiges Märchen gelang Femke Bol – nachdem sie am ersten Wettkampftag durch einen Sturz wenige Meter vorm Ziel Goldmedaille und Weltrekord in der Mixedstaffel liegen ließ, gelang ihr in der allerletzen WM-Entscheidung einer der unfassbarsten Schlusspurte der Leichtathletikgeschichte, mit dem sie die Niederlande noch zu Gold über 4x400m der Frauen führte. Die deutsche Bilanz war alles andere als wunderbar, zum ersten Mal in der Geschichte keine Medaille für den DLV, aber nicht ganz überraschend. Zum Schluss noch ein Wort zum Publikum. Nach Eugene hatte ich bilanziert „Amis können nicht anklatschen.“ Nunja, Ungarn auch nicht so richtig. Allzu oft ging das Tempo viel zu schnell in die Höhe, oder – viel schlimmer – es wurde bei Starts angeklatscht, wenn ungarische Athleten im Block saßen. Überhaupt war das Publikum vor allem in der ersten WM-Hälfte sehr nationalbewusst. Bei ungarischen Athleten flogen einem die Ohren weg, bei allen anderen (mit Ausnahme der Topathleten) gab es nur höflichen Miniapplaus. Doch das änderte sich jedenfalls halbwegs im Laufe der WM. Vielleicht lag es daran, dass die meisten ungarischen Athleten früh ausschieden und in den letzten Wettkampftagen nicht mehr dabei waren, vielleicht am internationaleren Publikum am Abschlusswochenende. Jedenfalls wurde spätestens ab dem Zehnkampf deutlich breiter angefeuert. Wie Sebastian Coe zur Bewertung kam, es sei die beste Stimmung bei einer WM gewesen, ist jedenfalls schwer nachzuvollziehen, auch wenn es bei knappen Zieleinläufen wirklich laut war.

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